Eine Cocktails erfinden? Na sichi! Und wenn was explodiert, ist auch okay.

Wie man (bessere) eigene Cocktails erfindet

Was der Spaß am Homebartender-Hobby ist? Neben den gebannten Blicken eurer Gäste beim Cocktails shaken, der sich stetig füllenden Hausbar und dem unnachahmlichen Gefühl, “Ich schmecke da ein bisschen Schiefer raus” zu sagen und es auch so zu meinen, ist es wohl vor allem die Freude am Experimentieren. Zunächst entdeckt man: Was ist drin in den Cocktails, die ich seit 10 Jahren trinke? Wie bereitet man die genau zu? Wie verändern sie sich, wenn ich da was wegnehme und hiervon mehr dazu schütte. Und dann all das “Oh mein Gott, ich hab nur den Rum ausgetauscht und er schmeckt total anders!”.

Und dann kommt der Moment, in dem man zum ersten Mal entscheidet: Ich mix’ jetzt einfach mal selber was. Klar, haben wir wirklich alle davor schon mal auf Partys gemacht. So gut wie immer erst jenseits unseres Zurechnungsfähigkeits-Horizonts und nur in den allerseltensten Fällen mit messbarem Erfolg. Natürlich lassen sich diese Betonmaß-Experimente nicht mit unseren feinfühligen Exkursionen in vollkommen unerschlossene Aromengefilde vergleichen, oder? Naja sorry – aber meistens lässt sich das sehr gut vergleichen, wenn ihr bei euren ersten liquiden Gehversuchen stocknüchtern und entschuldigungsbefreit wahllos alles ineinderkippt, was irgendwoandersdrin irgendwann mal geschmeckt hat.

Aber wir können euch beruhigen: So haben wir alle, wirklich alle angefangen. Und recht viel komplizierter ist’s auch eigentlich gar nicht.

Startet mit dem, was ihr kennt

Um einen neuen Cocktail zu erfinden, der auch wirklich schmeckt, solltet ihr zunächst überhaupt gar keinen neuen Cocktail erfinden. Nehmt einen Drink, den ihr eh liebt und gut kennt, bei dem ihr eure perfekte Mische immer griffbereit in der obersten Hirnschublade habt. Nehmen wir als Beispiel einen Whiskey Sour, 6cl Whiskey, 3 cl Zitronensaft, 1,5 cl Zuckersirup. Um einen neuen Drink zu erfinden, tauschen wir nun genau eine Zutat aus, nur eine, und ersetzen sie durch etwas anderes, das in unserem Kopf so klingt, als passt es gut dazu. Lassen wir mal den Zuckersirup im Regal und packen die Marillenmarmelade aus, die wir vom Österreich-Urlaub mitgebracht haben. Ein großer Teelöffel, sollten schon etwa 1,5 cl sein. Rein in den Shaker, mit Whiskey und Zitrone durchrütteln. Abseihen. Probieren. Schmeckt? Ja geil, schmeckt!  Geilomat, wir haben einen vollkommen neuen Cocktail erfunden. Nennen wir ihn erstmal Austria Delight, vielleicht fällt uns noch was Besseres ein.

Aber … ist das nicht einfach nur ein Twist?

Ob man es nun Twist, Riff, Hommage oder was auch immer nennt: Adaptiert ihr einen Drink auf eine neue Art und Weise wird daraus auch etwas Neues. Da müsst ihr euch auch gar nicht schämen für. Generationen von Omas verkaufen uns getrockneten Majoran vom Aldi in der Bolognese als geheimes Familienrezept, da könnt ihr ruhig ein klein wenig auf den Putz hauen mit eurer Abwandlung. Nur mal kurz im Netz gegenchecken, ob’s die Variante eventuell schon gibt solltet ihr, bevor ihr euren Claim absteckt.

Freilich kann man drüber streiten, ab wann man mit einer simplen Abwandlung eine Schöpfungshoheit ausgelöst hat. Eine andere Bourbon-Sorte benutzen als der Original-Bartender? Reicht eher nicht für einen Twist. Rye statt Bourbon einsetzen? Klarer Twist – aber bei der Namensfindung würden zumindest wir eine Reminiszenz ans Original platzieren. Ihr ersetzt den Whiskey-Anteil im Drink durch einen Mix aus einem Teil Cognac und einem Teil Ouzo? Keine Ahnung, ob dieser Wahnwitz was wird, aber Baby, Schöpfungshöhe erreicht, alle anschnallen.

Auch das ist übrigens immer eine gute Idee für Cocktail-Adaptionen: Sogenannte Split Bases, in denen ihr eine Zutat durch gleich zwei andere derselben Kategorie austauscht. Habt ihr zum Beispiel schon mal einen Old Fashioned mit einem Teil Rye Whiskey und einem Teil gereiften Jamaica Rum probiert? Wunderschöne Nummer. Aber wo wir gerade von Kategorien sprechen, sollten wir vielleicht die wichtigste Frage in diesem Artikel beantworten.

Bars sind - genau wie Homebars - Labore voll ungeahnter Möglichkeiten.
Bars sind – genau wie Homebars – Labore voll ungeahnter Möglichkeiten.

Was kann ich in einem Cocktail gegen was austauschen?

Da könnte man jetzt ganze Bücher drüber schreiben, aber in der einfachsten Darstellungsform haben wir folgende vier Zutaten-Kategorien innerhalb eines Drinks, in denen ihr breitflächig mit Substituten experimentieren könnt:

  • Spirituose – die Hauptzutat, Cocktailbart nimmt immer gerne 6 cl davon. Gin, Whisky, Wodka, Rum und so weiter – alles, was jenseits der 40% liegt und nicht zu süßlich ausfällt.
  • Säurequelle – Zitronensaft, Limettensaft, Buttermilch, Sauerkrautsaft (schaut mal beim Edeka ins Regal für ein wohlverdientes “Scheiße, das gibt’s echt?!”) und andere saure Zutaten.
  • Zuckerquelle – Zuckersirup, Ahornsirup, Agavendicksaft, aber auch Liköre wie Triple Sec, Kaffeelikör, Maraschino, Chartreuse oder auch mal sehr stark gesüßte Rums.
  • Bitters – tröpfchenweise zugegebene, meist stark alkoholische Zutaten mit intensiver Aromatik.

Dem hinzufügen möchten wir die folgenden beiden, die in der Barcommunity sehr fleißig durchgetauscht werden:

  • Bitterliköre oder Amari – Campari, Aperol, aber auch Ramazotti, Fernet Branca, Picon. Alles, was wirklich bitter ist, aber meistens trotzdem irgendwie süß und dickflüssig.
  • Fortifizierte Weine – sprich Wermut, Quinquina, Americano, Portwein, Sherry. Weine, die durch spezielle Gärung, Zucker und/oder Kräuter ein sehr spezielles Aroma erhalten haben. Die vielleicht komplizierteste, weil breiteste Kategorie. “Kann ich Wermut durch Sherry ersetzen?” – “Ja, klar.” – “Gut, dann nehmen wir statt Noilly Prat mal diesen Pedro Ximenez.” – “Ähhhhh …” Die folgende Grundregel klingt superdumm, ist aber in den allermeisten Fällen richtig: Innerhalb dieser Kategorie könnt ihr untereinander tauschen, was grob dieselbe Farbe hat. Ruby Port gegen Cream Sherry gegen italienischen Wermut. Fino Sherry gegen Quinquina Blanc gegen Trockenen Wermut.

An der Stelle nervt euch jetzt vielleicht die scheinbare Limitierung. Wieso kann man denn den Whiskey im Whiskey Sour nicht mal komplett gegen einen Wermut austauschen? Kann man wirklich keinen Whiskey Sour machen, indem ich die Zuckerquelle durch einen furzbitteren Campari ersetze? Kann ich im Negroni statt Campari auch einfach mal 3 cl Angostura Bitters nutzen? Die Antwort auf alle Fragen lautet: Ja, sichi – kann man alles. Nur die Wahrscheinlichkeit für einen objektiv guten Drink steigt stark, wenn man sich innerhalb der genannten Kategorien bewegt – und selbst dann kann’s kompliziert werden (wir schauen euch an, Amari). Aber nun da das geklärt ist, könnt ihr euch daran versuchen, mehr als eine Zutat pro Drink auszutauschen, um etwas vollkommen Neues zu entdecken.

Bewaffnet mit frischem Wissen über Cocktail-Templates kann euch nichts aufhalten.
Bewaffnet mit frischem Wissen über Cocktail-Templates kann euch nichts aufhalten.

Denkt in Blaupausen oder “Templates”

Fast alle neu entwickelten Cocktails folgen grob den Regeln bestehender Drinks oder bauen auf anderen Cocktails aus. Man spricht hier häufig von Blaupausen oder Cocktail-Templates. Wir empfehlen dazu das fantastische Buch Cocktailcodex, Matthias’ Artikel zum Thema oder dieses Video von Erick Castro, der uns unter anderem den Five Point Palm Exploding Heart Technique schenkte. Die Idee ist simpel: Ihr nehmt einen Cocktail, schaut wie seine Zutaten in die obigen Kategorien einzuordnen sind und ersetzt sie ganz oder teilweise durch irgendwas aus derselben Kategorie, auf das ihr mehr Bock habt. Einige der meistbenutzten Templates dafür sind:

Die sind alle herausragend gut für erste Fingerübungen. Wer dann ein bisschen eskalieren möchte, kann sich an Adaptionen etwas wagemutigerer Kombinationen wagen:

Wenn ihr mit einem dieser Templates spielt, egal ob althergebracht oder besonders, müsst ihr euch übrigens nicht an die klassischen Mengenkombinationen halten. Anders als allgemein vermutet, verstößt auch niemand gegen ein Gesetz, der einen Negroni anders als 1:1:1 mixt. Das exakte Zutatenfeintuning ist dann allerdings wohlgemerkt eine Geschmacks- und Erfahrungsfrage, der wir uns zum Beispiel hier zu widmen versuchen.

Was ist, wenn ich da jetzt noch Bitters dazupacke?

Ein Template als Basis nehmen und eine neue Zutaten-Kategorie ins Spiel zu bringen, ist absolut okay und oft der erste Schritt zu etwas Neuem. Mojito mit Angostura Bitters? Gibt’s schon (heißt: “Mojito mit Angostura Bitters”), ist aber prinzipiell erstmal eine Hammer-Idee – lasst euch also nicht davon abbringen, einer Cocktail-Blaupause etwas Neues hinzuzufügen. Oft ist die Nummer aber gar nicht mal so innovativ wie man denkt.

Der vorhin angesprochene Five Point Palm Exploding Heart Technique etwa besteht aus Mezcal, Punt e Mes, Kaffeelikör und Chocolate Bitters. Voll innovativ, oder? Schon, aber auch nur ein Old Fashioned. Einer mit einer Split Base aus Mezcal und Punt e Mes als Spirituose, Kaffeelikör statt Zucker und Schokoladenbitters statt Angostura. Ihr seht also: Templates schränken eure Kreativität nur selten ein – aber sie geben euch einen Plan an die Hand. Und zumindest zu Beginn eurer Homebartenderkarriere braucht ihr den viel dringender – Kreativität habt ihr schließlich genug.

Die Bilder für diesen Artikel wurden mit Hilfe von KI erstellt.


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