Sich für einen neuen Likör zu begeistern, erscheint schwer. Gin, Rum und Whisky stellen wir uns im Dutzend in den Schrank, lechzen nach immer neuen Produkten, nach guatemaltekischer Kamille als Botanical und Quadruple Cask-Sondereditionen, bei Likören sind die meisten von uns dagegen festgelegt: Ein Triple Sec (meist Cointreau, zuweilen Grand Manier), beide Charatreuse-Varianten, Maraschino (meist von Luxardo), Kahlúa und in den letzten Jahren eventuell noch einen St. Germain ins Regal und Bäm: reicht für 95 Prozent aller gängigen Cocktail-Rezepte. Italicus – Rosolio di Bergamotto ist ein Likör aus Bergamotten, der jetzt auf einen der wenigen Stammplätze auf dem engen Likör-Regal schielt – und vielleicht sogar Chancen hat.
Was soll das denn sein, ein Rosolio?
Guiseppe Gallo, der Mann hinter Italicus und in der Bar-Szene nicht erst seit seiner Zeit als Global Brand Ambassador von Martini bekannt, möchte mit dem Italicus vor allem die Spirituosen-Kategorie des Rosolio wieder in die Bars bringen. Wenn ihr euch an dieser Stelle fragt, was das denn jetzt sein sollt, hier die Entwarnung: damit seid ihr nicht allein. Es gibt nicht einmal einen deutschen Wikipedia-Eintrag zu dieser Likör-Sorte. Deswegen fangen wir auch besser mit der Geschichte des Rosolio an, bevor wir uns dem Italicus selbst widmen.
Rosolio ist der sehr schwammigen Definition nach ein Rosenblüten-Likör aus Italien, besonders verbreitet im Piemont und im Süden des Landes. Gesetzliche Bestimmungen darüber, was sich Rosolio nennen darf und was nicht, konnten wir nicht entdecken und gelegentlich scheint der Ausdruck auch schlicht für “Likör” zu stehen. Wortherkunft und die meisten Produkte und Rezepte lassen jedoch darauf schließen, dass die Rose als Zutat essentiell und meistens Hauptdarsteller ist. Auch beim Italicus ist sie in Form gelber Rosen vorhanden, wenn auch nicht tonangebend.
Belegt ist der Rosolio bis zurück ins 17. Jahrhundert und so mancher Gastro-Historiker rechnet ausgerechnet dem französischen König Ludwig XIV. eine große Rolle bei der Verbreitung zu: der ließ sich den süßlichen Rosenschnaps als Medizin für’s Herz verschreiben. Das passt zur (wohlgemerkt unbelegten) Geschichte, dass der italienische Arzt Giovanni Michele Savonarola den Rosolio im 15. Jahrhundert als Arznei erfunden haben soll. So oder so war das Zeug bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet und auch der offizielle Aperitif am italienischen Hof. Keine königliche Party kam ohne aus. Dann entschied König Viktor Amadeus III., dass Wermut besser kommt – was über direkte und indirekte Umwege auch die Produktion des Likörs erlahmen ließ.
Rosolio vom 19. Jahrhundert bis heute
Zwar gab und gibt es Rosenliköre, auch solche mit dem Namen Rosolio durchaus in Deutschland zu kaufen, doch nur in den seltensten Fällen haben die wohl etwas mit dem authentischen italienischen Produkt zu tun. Wer das wollte und suchte, der musste sich in den letzten 200 Jahren fast immer an eine italienische Hausfrau wenden. Die stellten und stellen den nämlich genau wie Limoncello oft und gern in Eigenregie her, als Aperitivo für Feste und den Feierabend. Wobei Aperitivo in Italien nicht einfach nur für Aperitif steht, für “Wir trinken einen vor dem Essen.”, sondern für ein geselliges Gläschen unter Freunden und Familienmitgliedern zum Essen vor dem Essen. Das hierzulande einzuführen, könnte schwierig werden. Aber immerhin haben wir jetzt Rosolio.
Auftritt Italicus – Rosolio di Bergamotto
Guiseppe Gallo war mal ein kleiner Junge an der Amalfi-Küste, bevor er Bartender, Manager in der Gastronomie, Global Brand Ambassador bei Martini und jetzt Consultant in der Spirituosen-Industrie wurde. Damals schälte er Zitronen und Bergamotten für seine Mutter, die daraus dann – wie viele andere italienische Mamas eben auch – Limoncello und Rosolio herstellte. Bergamotten, das sind so kleine schrumpelige grüne Zitronen und ihren Geruch kennt ihr vom Earl Grey-Tee. Der ist nämlich mit der Schale von den Dingern aromatisiert.
Genau die scheinen es Gallo angetan zu haben – denn in Geruch, Geschmack und sogar auf dem Etikett sind sie tonangebend für den Italicus. In ersten Varianten des Rezepts setzte er noch auf ein 300 Jahre altes Originalrezept, das aber so stark nach Rosen und Lavendel schmeckte, “[…] als würden man Seife essen.” In Zusammenarbeit mit einer kleinen Brennerei und mit Teilen des Rezepts seiner Mutter entwickelte er dann schließlich den Rosolio. Die Zutaten dafür hatte er schon in den Jahren davor zusammengetragen: Kalabrische Bergamotten, sizilianische Zedern, Römische Kamille aus Lazio, Lavendel, Zitronenmelisse und gelbe Rosen kommen in den Italicus – und sogar der Getreidealkohol in dem die Zutaten teils mazeriert werden, stammt aus Italien.
Bei soviel persönlicher Historie, geschichtlichem Hintergrund und 100 Prozent Italien im Glas wollte Gallo auch eine Flasche, die all das schon beim ersten Anblick versprechen kann. In Zusammenarbeit mit einer Agentur entwirft er deshalb diese wuchtige grün-türkise Säule, in der der Italicus daherkommt: 20 Rundungen für die 20 Regionen Italiens, ein Bacchus mit Bergamotten in den Händen nach dem Abbild des Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci und sogar die Farbe soll das Meer in der Blauen Grotte von Capri darstellen. Aber jetzt mal die wichtigen Fragen: Kann Italicus – Rosolio di Bergamotto auch noch was anderes als Storytelling?
So schmeckt Italicus – Rosolio di Bergamotto
Im Glas erscheint Italicus mit der Farbe von hellem Weißwein, für einen Likör schwenkt er sich geradezu leicht. Mit dem ersten Schnuppern ist klar, dass es hier um Bergamotte geht: Wie kalter Earl Grey-Tee riecht er oder wie frisch geöffnete Zitronenlimonade. Spüli und Shampoo sind ebenfalls Noten, die im Tasting genannt werden und sie lassen sich bei dieser vollen Ladung Zitronenfrische schlecht von der Hand weisen, stören aber nicht. Kamille schiebt sich im Aroma nach, zusammen mit einem Hauch Tannennadeln von der Zeder und Lavendel.
Nase: Bergamotte, Earl Grey-Tee, Zitronenlimonade, Kamille, Tannennadeln, Lavendel
Mund: Bergamotte, Tannennadeln, Enzian, Rose, Lavendel
Auch im Mund ist es die Bergamotte, die mit brachialer Sommerfrische auf der Zunge aufschlägt. “Brillenputztuch” fällt als Assoziation an dieser Stelle und ja, man kann das nachvollziehen. Dann wird der Italicus ein klein wenig ernster, eine erstaunlich milde Süße trifft auf leichte Bitternoten, im Abgang kommen wieder die Tannennadeln durch, zusammen mit einer etwas herberen Enzian-Note. Im Nachgeschmack dann bleiben neben der Bergamotte florale Noten von Rose und Lavendel.
Italicus in Cocktails und Longdrinks
Auch, wenn nicht jeder in der Tasting-Runde die eher uncharmant wirkenden Spülmittel-Assoziationen teilt: Pur macht der Italicus recht wenig Spaß, auf Eis ist er trinkbar, aber dann doch eher was für Menschen, die zwischen zwei Hugos eine Abwechslung brauchen. Auf der anderen Seite: Wer trinkt schon Luxardo Maraschino oder St. Germain Holunderlikör pur? Der eine ist laut Klaus St. Rainer als Jedikraft des Bartenders bekannt und der andere als Bartenders Ketchup – weil sie als Cocktail-Zutat so unkompliziert zu so vielem passen. Italicus möchte in dasselbe Horn stoßen – und schafft das in vielen Fällen in unserem Cocktail-Test auch.
Guiseppe Gallo hat in seiner Zeit bei Martini den Wermut an sich ganz weit nach vorne gebracht, ist außerdem bekennender Amaro-Liebhaber. Wenn er einen Likör auf den Markt bringt, dann kann man also damit rechnen, dass er irgendwo im Dunstkreis von Wermut & Tonic, Aperol Spritz und Hugo funktioniert. In Low-ABV-Drinks (ABV = alcohol by volume) also, Cocktails mit wenig Alkohol. Ein solcher ist zum Beispiel auch der Signature Drink des Italicus, der Gallicus: Prosecco und Italicus zu gleichen Teilen, Eis, drei Oliven. Fertig. Von der Komposition her ein handwerklich toller Drink, aber so gar nicht unsere Baustelle. Bis auf die Oliven – die Kombination aus Bergamotte, Prosecco und salzigen Oliven ist so toll, dass wir überlegen, mehr reinzuschütten, nur um sie wieder rauszulöffeln.
Die Herren-Variante des Gallicus ist ein Italicus im Indian Pale Ale – blumigem Craftbeer. Wer sich sowas mixt, sollte darauf achten, im Rahmen des Möglichen ein herbes IPA zu erwischen. Das ist per Definition zugegeben schwierig, aber ein zu blumig-süßliches Bier in Kombination mit dem zitronigen Likör macht einen Drink, der deutlich zu süß und floral wird. In unserem bald folgenden Artikel über Bier-Cocktails gehen wir das nochmal an – uns hat’s im ersten Versuch aber nicht besonders geschmeckt.
Schwenken wir zu den Sachen, die richtig Spaß gemacht haben: Gin Tonic und Vodka & Soda mit je 2 cl Italicus? Spannende Sache. Beim G&T kommt es natürlich auf die Zutatenkombo an, allerdings funktioniert der Italicus als Würzer in erstaunlich großen Bandbreite an Gins und Tonic Waters. Die meiste Freude hatten wir mit ihm aber in eher klassischen Varianten, mit wacholderlastigen Gins wie dem Granit, Cotswolds oder Juniper Jack und mit einem sehr trockenen Tonic Water wie dem Schweppes Dry oder dem Aqua Monaco Dry. Beim Vodka & Soda ist alles recht, was nach nichts schmeckt – hier kann der Italicus als “Auffrischer” wahre Wunder wirken. Aus einem reinen, neutralen Wirkungs-Gesöff wird so ein milder, zitroniger Erfrischungs-Longdrink.
Italicus-Cocktails: Die italienischsten Drinks der Welt?
Die größte Freude hatten wir jedoch mit den Cocktails, die wir auf der Facebook-Seite des Italicus entdeckt haben: Drinks von Bartendern aus aller Welt, die speziell um den Italicus herum entwickelt wurden. Für den D’Olivio trifft er auf Vodka, Orangensaft, Zitronensaft und Olivenöl. Diesen Drink muss man zwar intensiv shaken, dafür untermalt das Olivenöl den intensiven Zitrus-Geschmack des Cocktails mit einer so runden, warmen, mediterranen Note, dass man sich fragt, warum das Zeug nicht jetzt schon bei jedem Italiener der Welt verkauft wird.
Absolutes Highlight aber, vielleicht einer der besten Drinks, die wir in den letzten Jahren im Glas hatten: der Akademigatan mit Eiweiß, Mezcal, Wermut, Limette, Zucker, Lavandelbitters, Rosmarin (den wir in ersten Versuchen durch Basilikum ersetzen, was jedoch Geschmackssache bleibt) und eben Italicus. Der Rauch des Mezcals, die Frische des Italicus, der bittere Wermut, diese gewaltige Vollmundigkeit durch das Eiweiß – all das macht einen absolut stimmigen Drink und einen der klarmacht: In der Hand eines guten Bartenders lässt sich mit Italicus echt abgefahrenes Zeug anstellen.
Nun sind wir aber keine guten Bartender. Unser eigener Versuch, einen Drink namens Antipasti zu entwickeln, indem wir den Italicus mit Olivenlake, VollKorn und ein wenig Tomatenöl kombinieren geht so gründlich schief, dass wir euch das zwar nicht vorenthalten, aber keinesfalls mit diesem Artikel warten möchten, bis der Drink spruchreif ist. Für die Suppe würden uns wahrscheinlich die meisten italienischen Mamas verhauen.
Teure Cocktail-Experimente
Für unsere hier gezeigten Experimente und Versuche verbraten wir etwa die halbe Flasche, wohlgemerkt mixen wir damit die meisten Drinks aber nur ein bis zweimal, nur beim Gin Tonic probieren wir ein paar Varianten mehr – hier brauchen wir allerdings jeweils nur 2 cl. Problematisch ist das, weil die 0,7-Liter-Flasche Italicus – Rosolio di Bergamotto mit 37,99 Euro ordentlich auf die Pauke haut für einen Likör. Damit überholt er auch St. Germain und Chartreuse deutlich. Für Hammer-Drinks wie den Akademigatan absolut verschmerzbar – als Ketchup für den Vodka & Soda ein wenig drüber. Das Aber: Bei der 35-Euro-0,5-Liter-Flasche Gin meckert auch keiner mehr – und die geht auf alle Fälle deutlich schneller weg als der meist sparsam eingesetzte Italicus.
Fazit: Wahnsinnig spannender Likör, der tatsächlich eine neue geschmackliche Komponente in bestehende Drink-Portfolios zaubert und in Low-ABV-Cocktails Fans von Aperol Spritz und Hugo wahrscheinlich im Sturm erobern wird. Wohlgemerkt aber zum Premium-Preis.
Daten: 20 Prozent, Italien, 0,7 Liter, um 38 Euro